Das Braunkehlchen - kleiner Wiesenkönig ohne Reich
Wird eine Art wiederholt zum „Vogel des Jahres“ erwählt, wie 2023 das Braunkehlchen, ist es stets ein schlechtes Zeichen. Schon 1987 hatte es diesen Titel und bereits damals wurde auf seinen drastischen Rückgang hingewiesen. Dieser hat sich seither noch verschlimmert.
Beispielsweise konnte im Jahr 1987 das Braunkehlchen noch auf den unbewirtschafteten Wiesen bei Dusslingen im „Geigesried“ hinter den damals noch nicht vorhandenen Schulen auf dem „Höhnisch“ beobachtet werden. Heute haben wir dort Wohnbebauung und Industrieansiedlung mit entsprechender Infrastruktur.
Dabei zeigte dieses „Geigesried“ genau jenes Habitat, das ein Braunkehlchen braucht.
Selten gemähte, wenig bewirtschaftete Wiesen, durchsetzt mit niedrigem Gebüsch und hohen Stauden, wie z. B. wilde Karde oder Doldengewächse, auf denen es seine Sitzwarte beziehen kann. Dort lässt es sich auch am besten beobachten und man erkennt den weißen Überaugenstreif, die dunklen Wangen, den schwarz-braun gesprenkelten Rücken und die rostfarbene Kehle und Brust. Beim Weibchen sind die Farbtöne deutlich blasser.
In dieser Umgebung findet sich auch sein gut verstecktes Bodennest. Meist am Rand eines kleinen Strauches oder bei einer höheren Staude. Hier werden die 5-6 bläulich gefärbten Eier abgelegt und ca. zwei Wochen vom Weibchen bebrütet. Noch einmal 14 Tage dauert es, bis die Jungen dann flügge sind. Als Bodenbrüter sind Braunkehlchen zwangsläufig besonders durch Räuber wie Fuchs, Wiesel oder Iltis, aber auch Rabenvögel gefährdet. Selbst wenn sie noch nicht fliegen können, verlassen die Jungen bei Gefahr das Nest und versuchen sich im Gras zu verstecken, in der Hoffnung, dass wenigstens ein paar unentdeckt bleiben. Als Nahrung dienen dem Braunkehlchen hauptsächlich die leider immer seltener werdenden Insekten mit ihren Raupen, besonders Heuschrecken und auch Würmchen. Haben die Jungen die gefährliche Zeit der Aufzucht überstanden, ziehen sie im Familienverband im Zeitraum Ende August bis September nach Afrika, um südlich der Sahara zu überwintern.
Der Vogel ist eigentlich in ganz Mittel- und Osteuropa, im Balkan und bis hin zum Polarkreis verbreitet. Leider findet er jedoch immer weniger die Umgebung und die Lebensbedingungen, die er braucht. Zu frühe und zu häufige Grasmahd, übermäßiger Pestizideinsatz, Überschwemmungen durch starken, anhaltenden Regen und kühle Temperaturen in der Brutzeit, sowie andererseits anhaltende Dürreperioden im Überwinterungsgebiet, der Sahelzone, setzen ihm sehr zu.
Im Kreis Tübingen sind die Braunkehlchenbestände so gut wie erloschen. Vereinzelte Exemplare wurden in den letzten Jahren noch im Ammertal westlich von Tübingen registriert. Die meisten Brutpaare in Baden–Württemberg dürften sich jedoch noch am Federsee bei Bad Buchau befinden. Wandert man der Federseesteg hinaus, lassen sich ab Mitte April besonders die Männchen auf ihren erhöhten Sitzwarten in den Riedwiesen sehen. Sie bewachen den Nestbau und die Brut der Weibchen. Später können dann beide Geschlechter bei der Jagd nach Insekten zur Aufzucht der Jungen beobachtet werden.
Hoffen wir, dass es trotz des fortschreitenden Landschaftsverbrauchs gelingt, noch ein paar Fleckchen so zu erhalten, damit das Braunkehlchen bei uns noch eine Überlebenschance hat.
Werner Dürr
Der Wiedehopf: Der Harlekin unter den Vögeln
Zum zweiten Mal wurde der Vogel des Jahres öffentlich gewählt. Wie im Jahr zuvor mit dem Rotkehlchen entfielen die meisten Stimmen mit dem Wiedehopf wieder auf einen relativ markanten und daher bekannten Vertreter, der bereits 1976 diesen Titel trug. Freilich werden noch relativ wenige von uns diesen Vogel je in freier Wildbahn gesehen haben, da er in Deutschland relativ selten ist. Nach dem Tiefpunkt im Jahr 1996 mit noch ca. 210-280 Brutpaaren hat sich sein Bestand bis ins Jahr 2020 wieder bei geschätzten 800-900 Brutpaaren eingependelt. Dabei hatte er früher ein Ausbreitungsgebiet, das sich bis in die Niederlande und den Ostseeraum erstreckte.
Als auffälliges Tier war der Wiedehopf in den meisten Kulturen bekannt. Im Christentum wurde er wegen seiner „Unreinheit“ schnell mit „Sündhaftigkeit“ assoziiert und fand sich im Aberglauben als Helfer und Leibvogel der Teufels wieder. Dagegen galt er in Ägypten als heilig, im Islam erfährt er hohe Verehrung und in China symbolisiert er Frieden und Glück.
Das Gefieder ist beim Wiedehopf recht auffällig. An den zimtfarbenen Kopf, Nacken und Hals schließt sich ein kontrastreich schwarz-weiß gebänderter Rücken an. Der Schnabel ist relativ lang, dünn und leicht abwärts gebogen; er eignet sich besonders zum Stochern im Boden. Am markantesten ist jedoch seine orangene Federkrone mit schwarz-weißen Spitzen, die er bei Erregung aufrichtet.
Trifft der Wiedehopf im April aus seinem Winterquartier südlich der Sahara bei uns ein, hält er nach einem geeigneten Habitat im offenen, warmen und trockenem Gelände Ausschau. Dies findet er in Magerrasengebieten, Streuobstbeständen, Weingärten oder lichten Wäldern. Das Männchen wirbt dabei mit lang anhaltenden Lauten, die an eine Hupe erinnern, um eine Partnerin. Hat sich ein Paar gefunden, sucht es in Maueröffnungen, Steinhaufen, Baumhöhlen oder unter Dachziegeln nach einem geeigneten Nistplatz; Nistkästen werden nur sehr zögerlich angenommen. Die 6-7 Eier werden ca. 16 Tage bebrütet und die geschlüpften Jungvögel noch etwa einen Monat in der Bruthöhle versorgt. Diese befindet sich oft in Bodennähe oder geringer Höhe, was eine relativ große Gefährdung durch Nesträuber bedingt. Dagegen haben die jungen Wiedehopfe eine besondere Abwehrtechnik entwickelt. Sie sondern einen besonders übel riechenden, dünnflüssigen Kot ab, der die Höhle vor ungebetenen Besuchern schützen soll. So wird der Wiedehopf auch als Stinkvogel bezeichnet und die Redewendung „stinken wie ein Wiedehopf“ hat darin ihren Ursprung. Sind die jungen Vögel flügge, verlassen sie gegen Ende August Mitteleuropa bereits wieder und ziehen in ihre Überwinterungsgebiete.
Als wärmeliebender Vogel hat der Wiedehopf seine Hauptverbreitung rund ums Mittelmeer. Im Zuge der Klimaerwärmung könnt er durchaus auch bei uns in Deutschland wieder vermehrt auftreten, wenn ihm geeignete Reviere zur Verfügung stünden. Er ernährt sich von großen Insekten und ihren Raupen. Die im Schwäbischen als „Werre“ bezeichnete und früher als Schädling gefürchtete Maulwurfsgrille gilt als seine Leibspeise, nur kommt sie kaum noch vor. In unserer mit Insektiziden durchsetzten Agrarlandschaft findet er nicht mehr genügend Nahrung. Der Vogel bräuchte extensiv bewirtschaftete, giftfreie Lebensräume, die bei uns immer seltener zu finden sind.
In unserer Gegend wird ein Wiedehopf höchst selten zu sehen sein. Vor Jahren wurde von einem Durchzügler im Bereich des Bergrutsches bei Mössingen berichtet. Relativ sicher lässt er sich noch bei einem Ausflug zum Kaiserstuhlgebiet beobachten. In einer der wärmsten Gegenden Deutschlands besiedelt er dort die Rebhänge, die ihm mit ihren Trockenmauern noch geeignete Nistmöglichkeiten bieten. Wünschen wir dem „Vogel des Jahres 2022“ dass er von dort aus vielleicht einmal auch wieder in unseren Streuobstwiesen Einzug findet.