Bilder: Nabu / Helmut Erber / Philip Hunke
„Nachdem über Nehren die ersten Trupps von Heimkehrern gesehen wurden, ist es Zeit den Kiebitz als Vogel des Jahres 1996 vorzustellen.“
So begann mein Bericht, als damals der Kiebitz erstmals als Vogel des Jahres gewählt wurde. Von den damals ca. 100 000 Brutpaaren in ganz Deutschland, deren Bestand schon rückläufig war, blieben bis heute etwa die Hälfte noch übrig, was ihm nun zum zweiten Mal den Titel „Vogel des Jahres 2024“ einbrachte. Es zeigte sich, dass heutzutage fast nirgendwo sein Bruterfolg mehr zur Bestandssicherung ausreicht. Wenigstens ein flügger Jungvogel pro Brutpaar in einem Jahr wäre nötig, um den Bestand zu erhalten.
Wie bei vielen anderen Bodenbrütern ist auch bei ihm der Verlust an geeignetem Lebensraum neben den Fressfeinden das größte Problem. Er bevorzugt offenes, flaches und feuchtes Dauergrünland. Entwässerung, Überdüngung und zu frühe Wiesenmahd machen ihm das Leben schwer. Gelegentlich weicht er daher schon auf Ackerland aus.
Auf Nehrener Gemarkung war der Kiebitz zumindest im Frühjahr vor Jahren regelmäßiger Gast. Ab März ist er auf den Wiesen und Feldern links und rechts der L 384 zwischen Nehren und Gomaringen zu sehen gewesen. Das ist heute leider vorbei.
Bereits in der Luft ist der taubengroße, kontrastreich schwarz-weiß gefärbte Vogel mit seiner markanten Kopfhaube leicht zu erkennen. Die relativ breiten und langen Schwingen holen tief zu den typischen, etwas flatterhaft wirkenden Flügelschlägen aus. Besonders eindrucksvoll ist der Balzflug des Männchens. Nach senkrechtem Aufstieg lässt er sich oft Salto schlagend oder purzelbaumähnliche Rollen ausführend bis wenige Meter über dem Erdboden herabstürzen.
In einer flachen, mit Gras ausgepolsterten Nestmulde werden die meist vier olivbraunen, schwarzgefleckten Eier abgelegt, aus denen nach ca. vierwöchiger Brutzeit die Jungen schlüpfen. Als sogenannte Nestflüchter sind sie sofort nach dem Trocknen des Flaums auf ihren flinken Beinchen unterwegs und suchen sich ihre Nahrung in Form von Würmern, Insekten, Schnecken etc. selbst. Nur in den ersten zwei Wochen werden sie nachts vom Weibchen noch gewärmt. Bei Gefahr drücken sie sich regungslos auf den Boden und verlassen sich ganz auf ihr Tarngefieder, bis sie nach 35 - 40 Tagen dann fliegen können.
Bei der Nahrungssuche tritt der Vogel mit einem Bein rasch auf und ab, um Bodentiere aufzuscheuchen. Besonders geeignet dafür sind Schlammflächen oder feuchter Boden mit geringer und niedriger Vegetation. Solche Flächen sucht er mit großer Standorttreue im nächsten Jahr wieder auf, auch wenn dort inzwischen ein Mais- oder Getreidefeld entstanden ist.
Nähert man sich dem Vogel zu Fuß, so behält er immer eine bestimmte Fluchtdistanz oder steigt auf und umkreist laut schimpfend den Eindringling in seinem Revier. Vom Fahrrad oder vom Auto aus ist der Flugkünstler mittels eines Fernglases oftmals besser zu beobachten. Eine Möglichkeit dazu besteht im Kreis Tübingen noch in der Gegend beim Ammerhof, wo ein auf den Kiebitz zugeschnittenes Biotop angelegt wurde.
Bereits Ende Mai ziehen die ersten Männchen wieder von unserer Gegend weg, um in Norddeutschland an der Atlantikküste zu mausern. Die Weibchen mit den Jungen folgen im August. Im Oktober und November kann man dann noch einmal rastende Trupps auf ihrem Weg in die Winterquartiere in Südwesteuropa bei uns sehen, die wir hoffentlich im nächsten Jahr als Boten des herannahenden Frühlings wieder bei uns begrüßen dürfen.
Werner Dürr
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