Das Braunkehlchen ist "Vogel des Jahres 2023"

Braunkehlchen - NABU Vogel des Jahres 2023
Foto: Frank Derer

Das Braunkehlchen  -  kleiner Wiesenkönig ohne Reich

Wird eine Art wiederholt zum „Vogel des Jahres“ erwählt, wie 2023 das Braunkehlchen, ist es stets ein schlechtes Zeichen.  Schon 1987 hatte es diesen Titel und bereits damals wurde auf seinen drastischen Rückgang hingewiesen. Dieser hat sich seither noch verschlimmert.

 

Beispielsweise konnte im Jahr 1987 das Braunkehlchen noch auf den unbewirtschafteten Wiesen bei Dusslingen im „Geigesried“ hinter den damals noch nicht vorhandenen Schulen auf dem „Höhnisch“ beobachtet werden. Heute haben wir dort Wohnbebauung und Industrieansiedlung mit entsprechender Infrastruktur.

 

Dabei zeigte dieses „Geigesried“ genau jenes Habitat, das ein Braunkehlchen braucht.

 

Selten gemähte, wenig bewirtschaftete Wiesen, durchsetzt mit niedrigem Gebüsch und hohen Stauden, wie z. B. wilde Karde oder Doldengewächse, auf denen es seine Sitzwarte beziehen kann. Dort lässt es sich auch am besten beobachten und man erkennt den weißen Überaugenstreif, die dunklen Wangen, den schwarz-braun gesprenkelten Rücken und die rostfarbene Kehle und Brust. Beim Weibchen sind die Farbtöne deutlich blasser.

 

In dieser Umgebung findet sich auch sein gut verstecktes Bodennest. Meist am Rand eines kleinen Strauches oder bei einer höheren Staude. Hier werden die 5-6 bläulich gefärbten Eier abgelegt und ca. zwei Wochen vom Weibchen bebrütet. Noch einmal 14 Tage dauert es, bis die Jungen dann flügge sind. Als Bodenbrüter sind Braunkehlchen zwangsläufig besonders durch Räuber wie Fuchs, Wiesel oder Iltis, aber auch Rabenvögel gefährdet. Selbst wenn sie noch nicht fliegen können, verlassen die Jungen bei Gefahr das Nest und versuchen sich im Gras zu verstecken, in der Hoffnung, dass wenigstens ein paar unentdeckt bleiben. Als Nahrung dienen dem Braunkehlchen hauptsächlich die  leider immer seltener werdenden Insekten mit ihren Raupen, besonders Heuschrecken und auch Würmchen. Haben die Jungen die gefährliche Zeit der Aufzucht überstanden, ziehen sie im Familienverband im Zeitraum Ende August bis September nach Afrika, um südlich der Sahara zu überwintern.

 

Der Vogel ist eigentlich in ganz Mittel- und Osteuropa, im Balkan und bis hin zum Polarkreis verbreitet. Leider findet er jedoch immer weniger die Umgebung und die Lebensbedingungen, die er braucht. Zu frühe und zu häufige Grasmahd, übermäßiger Pestizideinsatz, Überschwemmungen durch starken, anhaltenden Regen und kühle Temperaturen in der Brutzeit, sowie andererseits anhaltende Dürreperioden im Überwinterungsgebiet, der Sahelzone, setzen ihm sehr zu.

 

Im Kreis Tübingen sind die Braunkehlchenbestände so gut wie erloschen. Vereinzelte Exemplare wurden in den letzten Jahren noch im Ammertal westlich von Tübingen registriert. Die meisten Brutpaare in Baden–Württemberg dürften sich jedoch noch am Federsee bei Bad Buchau befinden. Wandert man der Federseesteg hinaus, lassen sich ab Mitte April besonders die Männchen auf ihren erhöhten Sitzwarten in den Riedwiesen sehen. Sie bewachen den Nestbau und die Brut der Weibchen. Später können dann beide Geschlechter bei der Jagd nach Insekten zur Aufzucht der Jungen beobachtet werden.

 

Hoffen wir, dass es trotz des fortschreitenden Landschaftsverbrauchs gelingt, noch ein paar Fleckchen so zu erhalten, damit das Braunkehlchen bei uns noch eine Überlebenschance hat.

Werner Dürr